Drei Reformen, die Griechenland wirklich braucht
Kommt der Grexit? Nein, ein Kompromiss ist wahrscheinlich. Der aber wird die grundlegenden Probleme der griechischen Wirtschaft nicht lösen. Was das Land jetzt braucht.
Die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und ihren Geldgebern von Internationalem Währungsfond (IWF), Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) steuern auf ein entscheidendes Datum zu: Am 30. Juni erwartet der IWF eine Rückzahlung von 1,5 Milliarden Euro. Eine Einigung ist trotz der angespannten Rhetorik wahrscheinlich, denn keiner der Verhandlungspartner will den Grexit. Zudem haben sich beide Seiten schon deutlich bewegt. Von den Wahlversprechen Alexis Tsipras' ist im jüngsten Angebot der griechischen Seite nicht mehr viel übrig geblieben; die Geldgeber wiederum haben die Schwäche der griechischen Wirtschaft - teils von der erneuten Unsicherheit um Griechenlands Zukunft getrieben - mit einbezogen und die geforderten Konsolidierungsziele etwas angepasst.
Leider wird eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Geldgebern die grundlegenden Probleme der griechischen Wirtschaft nicht lösen. Was Griechenland braucht, ist ein nationaler Reformkonvent aller maßgeblichen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, um die Bürokratie und das Justizwesen grundlegend zu reformieren, sowie den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft zurückzuschneiden. Sollten die Griechen zu einer solchen großen Lösung bereit sein, sollten die Europäer ihre Anforderungen an Ausgabenkürzungen verringern, und gleichzeitig einen großen Schuldenerlass in Aussicht stellen.
Was Griechenland nicht braucht
Die Griechen haben in den letzten Jahren ihren Haushalt in einem Umfang konsolidiert wie kaum ein Land zuvor in Friedenszeiten. Die Kürzungen haben von 2008 bis 2013 laut Rechnung des IWF 16,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen. Dies entspräche in Deutschland etwa 480 Milliarden Euro - was deutlich mehr ist als der gesamte Bundeshaushalt eines Jahres. Diese Radikalkur hat den Schuldenstand des Landes (relativ zu seiner Wirtschaftskraft) nicht gesenkt, sondern im Gegenteil deutlich erhöht, da die Wirtschaft kollabiert ist. Den Haushalt ohne Wirtschaftswachstum zu konsolidieren hat schon Schweden während seiner Krise Anfang der 1990er Jahre nicht geschafft. In der gegenwärtigen Situation sollte die Finanzpolitik Griechenlands mindestens neutral sein, das heißt weder expansiv wie bei einem Konjunkturprogramm, noch kontraktiv. Ideal wäre eine leicht expansive Ausrichtung, bis die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen ist. Eine weitere Konsolidierung in Griechenland, wie von den Geldgebern gefordert, ist dagegen kontraproduktiv.
Griechenland hat, entgegen dem verbreiteten Eindruck in der deutschen Öffentlichkeit, einige Fortschritte bei den klassischen Strukturreformen gemacht. Der Arbeitsmarkt ist beispielsweise laut Indikatoren der OECD nun liberaler als der deutsche. Zudem sind Lohnkosten und Preise deutlich gefallen, und liegen nun wieder auf dem Niveau, auf dem sie im Jahr 2000 relativ zum Durchschnitt der Eurozone lagen. Dennoch ist zum Beispiel das Exportwachstum in Griechenland bisher enttäuschend verlaufen, trotz der steigenden Touristenzahlen. Zu hohe Löhne oder zu starre Arbeitsmärkte sind daher vermutlich nicht mehr das Problem.
Das bis vor kurzem noch äußerst großzügige Rentensystem ist bereits deutlich gekürzt worden und das stufenweise Auslaufen der Frühverrentung (insbesondere im öffentlichen Dienst) hat die griechische Seite in den Verhandlungen bereits zugestanden. Weitere Anpassungen sind auch deshalb nötig, weil die Pensionsfonds durch den griechischen Schuldenschnitt Vermögen verloren haben und die Einnahmen der Rentenkassen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit massiv eingebrochen sind. Der Schlüssel, das griechische Rentensystem nachhaltig zu machen, ist daher Wachstum. Der politische Preis, den jede griechische Regierung für eine weitere Rentenkürzung zahlen müsste, wäre sehr hoch. Nicht umsonst hat die Vorgängerregierung die Rentenforderungen der Geldgeber abgelehnt und lieber Neuwahlen riskiert. Die notwendigen politischen Mühen wären daher bei wachstumsfördernden Reformen besser investiert.
Welche Schritte nun nötig sind
Was also steht Wohlstand und Wachstum in Griechenland im Weg? Erstens muss Griechenland seine Bürokratie modernisieren, deren Trägheit, kafkaeske Komplexität, Korruption und Vetternwirtschaft seit Jahrzehnten die Wirtschaft lähmen. Reformen sind vor der Krise immer wieder gescheitert, so dass die politische Einflussnahme auf die Bürokratie groß blieb. Während der Krise wurden zum Beispiel bei der Bekämpfung von Korruption Fortschritte gemacht. Allerdings erlahmten die Reformbemühungen schon bevor Syriza an die Macht kam. Das Problem ist, dass eine nachhaltige Reform der Bürokratie nur gelingen kann, wenn sie von der Mehrheit der Bevölkerung, der Politik und den Beamten selbst unterstützt wird.
Zweitens muss das griechische Justizsystem massiv reformiert werden. Ein funktionierendes Rechtssystem ist das Fundament einer Marktwirtschaft, weil es Unternehmern, Investoren, Exporteuren und Arbeitnehmern Sicherheit gibt. Im Moment dauert ein Prozess wegen Vertragserfüllung im Schnitt 1580 Tage. Damit liegt Griechenland neben Tschad und Pakistan fast am Ende der einschlägigen Tabelle der Weltbank. Im Rechtsstaatsindex des World Justice Projects ist Griechenland das Schlusslicht der reichen Länder, nur noch unterboten von Russland. Eine grundlegende Justizreform allerdings braucht Zeit, Ressourcen und die breite Unterstützung der Öffentichkeit sowie der Politik, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
Drittens muss der griechische Staat die Regulierung von Märkten und die Einmischung in die Wirtschaft zurückschneiden. Regulierung und Staatseigentum sind per se nichts Verwerfliches; im Gegenteil ist beides wichtig, um eine faire, effiziente und sichere Marktwirtschaft zu garantieren. Allerdings sind Überregulierung und unnötier Einfluss des Staates ein nährreicher Boden für Vetternwirtschaft und Korruption. Der griechische Staat mischt sich mehr in die Wirtschaft ein als in den meisten anderen EU Ländern - auch wenn man betonen sollte, dass Griechenland nach erheblichen Fortschritten nun dort steht, wo Deutschland Ende der 1990er Jahre stand. Die nötigen Reformen, zusammengefasst in einer Liste von 329 Empfehlungen der OECD, sind Teil der momentanen Verhandlungen. Allerdings ist fraglich, wie nachhaltig und effektiv solche Reformen sind, wenn sie nicht von einer umfassenden Justizreform und einer tiefgreifenden Reform der Bürokratie begleitet werden.
Erstens die Bürokratie, zweitens das Justizsystem und drittens den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft zu reformieren, erfordert griechische Ideen, griechischen Mut, und griechisches Durchhaltevermögen. Die Unterstützung für Reformen wird immer halbherzig sein, wenn die Reformen von außen erzwungen werden. Die griechische Zivilgesellschaft und eine große Koalition gemäßigter Parteien muss sich zusammenfinden, um ein umfangreiches Reformpaket zu schnüren, welches unabhängig vom Ausgang künftiger Wahlen umgesetzt wird. Der Fortgang der Reformen sollte nicht von einem internationalen Aufpasser im Detail überwacht werden, sondern von einem griechischen Reformkonvent, bestehend aus griechischen Experten, Journalisten, Partei-, Gewerkschafts- und Wirtschaftsvertretern sowie Vertretern der griechischen Zivilgesellschaft. Nur wenn die Griechen selbst diesen Prozess antreiben und überwachen, ist eine nachhaltige Reform der Institutionen des griechischen Staates möglich.
Falls Griechenland ein solches Paket schnürt, sollten die Geldgeber es voll unterstützen, indem sie weniger Haushaltskonsolidierung verlangen und den Griechen einen deutlichen Schuldenerlass nach erfolgreichem Abschluss des Reformprogramms in Aussicht stellen. Natürlich bräuchte das Land Zeit, um ein solches Programm zusammen zu stellen. Daher ist zunächst eine Überbrückungsvereinbarung nötig. Danach allerdings sollten die Griechen und ihre Geldgeber an einer echten Lösung arbeiten, nicht nur an einem kurzfristigen Deal.