Europa und Großbritannien: "Wie soll das funktionieren?"
Nirgendwo klaffen die Positionen zwischen den britischen Konservativen und Liberaldemokraten weiter auseinander als in der Europapolitik. In der Koalitionsvereinbarung ist dem Thema ein eigenes Kapital gewidmet. Es schreibt etwa fest, dass die Regierung "keine Schritte zur Einführung des Euro" unternehmen wird. Jede Vertragsänderung, die eine neue Kompetenzverlagerung zur EU bringt, soll künftig einer Volksabstimmung unterzogen werden. Zugleich betont die Regierung: "Wir wollen ein positiver Teilnehmer in der EU sein und eine starke und konstruktive Rolle spielen."
Die Bestellung des ausgewiesenen Europaskeptikers William Hague zum Außenminister gibt Europafreunden weiteren Grund zur Sorge. Zu einem seiner Lieblingsprojekte gehört seit Jahren ein "UK Sovereignty Law", das britisches Recht über EU-Recht stellen soll. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu freilich nur vage, man wolle Umstände für ein derartiges Gesetz "prüfen".
Die stellvertretende Leiterin des Londoner Thinktanks Centre for European Reform, Katinka Barysch, sieht daher noch viele Fragezeichen zur Europapolitik der neuen Regierung: "In der Europapolitik sind die beiden Parteien sicher entgegengesetzte Pole. Momentan sind beide sehr bemüht, aber wie soll das funktionieren?", sagt sie im Gespräch mit der "Presse".
Barysch glaubt aber, dass an dieser Frage die Regierung nicht scheitern wird: "Wenn es einen europäischen Überzeugungstäter in der Regierung gibt, dann ist das Nick Clegg, der wirklich ein überzeugter Europäer ist. David Cameron scheint keine besonderen Überzeugungen zu dem Thema zu haben. Ab und zu wirft er seiner rechten Basis zwar ein paar Brocken hin. Aber wenn es um wirklich wichtige Fragen geht, wie die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags, dann schwenkt er blitzschnell auf eine pragmatische Linie um."
Briten-Rabatt wankt
Daher glaubt Barysch auch nicht, dass der überzeugte Europaskeptiker Hague in der Lage sein wird, den Ton in der Regierung vorzugeben: "Wenn er nun lauter feindliche Signale gegen Brüssel abgibt, dann wird so etwas ja ganz schnell Chefsache. Da hat Hague in einer Koalition aber nicht viel Spielraum. Und auf diese Koalition hat er sich ganz bewusst eingelassen."
Für die bevorstehenden EU-Budgetverhandlungen erwartet die Expertin jedenfalls eine Neuauflage der Debatte über den Briten-Rabatt. "Das wird knallhart werden, schon allein weil Deutschland diesmal sicher weniger kompromissbereit sein wird. Und die Briten haben zuletzt ja nicht gerade europäische Solidarität gezeigt." Ein Scheitern erwartet Barysch dennoch nicht: "Die Briten werden mit Maximalforderungen in die Gespräche ziehen und mit Kompromissen herauskommen. Das ist immer so."
Was London aber bei einer betont EU-skeptischen Haltung droht, sei eine zunehmende Isolation: "Die Geduld ist sicher nicht sehr groß, schon allein deshalb, weil jeder genug Probleme zu Hause hat. Man wird die Briten knallhart vor die Wahl stellen: Wollt ihr mitmachen oder nicht?"
In einer derartigen Situation die liebste Karte der Briten zu spielen, die vielbeschworene „special relationship“ mit den USA, hält Barysch für müßig: "(US-Präsident Barack) Obama hat den Europäern hinreichend klargemacht, dass ihn ihr Bilateralismus nicht interessiert. Die Europäer gemeinsam interessieren ihn schon, aber zuerst sollen sie ihre Hausaufgaben erledigen."
Im Wahlkampf hatte der heutige Vizepremier Nick Clegg seinem jetzigen Premier David Cameron vorgeworfen, die Europaabgeordneten der Tories aus der EVP heraus und in eine Fraktion mit "rechtsextremen Verrückten" geführt zu haben. Könnte Cameron als Premier da nun umdenken? Barysch: "Ich glaube nicht, dass das seine erste Sorge sein wird. Aber ich würde es nicht ausschließen."