Was Griechenland eigentlich braucht
Der sich abzeichnende Deal zwischen Griechenland und den Gläubigern ist politisch richtig, aber ökonomisch kontraproduktiv, sagt Ökonom Christian Odendahl. Eine langfristige Lösung für Griechenland und für Europa ist er nicht.
n-tv.de: Rein ökonomisch betrachtet: Ist es richtig, von Griechenland stärkere Einsparungen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Kürzung der Renten zu fordern?
Christian Odendahl: Es ist schwer, für diese Forderungen eine ökonomische Erklärung zu finden, da sich in den letzten Jahren klar gezeigt hat, dass Sparpolitik in einer Krise kontraproduktiv ist. Der Grund ist also eher politischer Natur. Der Internationale Währungsfonds möchte sicherstellen, dass die griechischen Schulden tragfähig bleiben, notfalls per Schuldenschnitt; die Bundesregierung und andere Euro-Länder wollen ihren Bevölkerungen aber keinen Schuldenschnitt verkaufen müssen. Insofern versucht man, über Sparpolitik die Tragfähigkeit der Schulden zu erreichen. Es ist ökonomisch unwahrscheinlich, dass dies gelingen wird.
Am Montag hieß es, es werde keinen Schuldenschnitt und kein drittes Kreditprogramm geben. Trotzdem war von einer dauerhaften Lösung die Rede. Wie kann die aussehen?
Schuldenschnitt klingt nach einer radikalen Maßnahme, aber es hat schon weiche Schuldenschnitte gegeben, bei denen Rückzahlungen gestreckt und Zinsen gesenkt wurden. Ein bisschen Potenzial gibt es da noch. Zweitens könnten existierende Gelder, die für die Bankenrekapitalisierung vorgesehen waren, umgewidmet werden in "normale" Hilfsgelder. Drittens ist ein Grund, warum Griechenland Geld braucht, dass es jetzt schon Kredite an die EZB und an den IWF zurückzahlen muss. Es ist also eher eine Umschichtung von einem Geldgeber zum anderen nötig, als ein drittes "Hilfspaket". Genau das schlägt die griechische Regierung ja auch vor.
Die Bundesregierung hat eine Umschichtung bisher ausgeschlossen.
Einen Deal wird es geben müssen, schon allein deshalb, weil die wahrscheinliche Einigung diese Woche negative ökonomische Auswirkungen auf Griechenland haben wird. Offen ist, inwiefern die von der EU-Kommission angekündigten 35 Milliarden an Investitionsgelder aus EU Töpfen einen Einfluss haben werden.
Am Montag sagte Bundeskanzlerin Merkel, die Staats- und Regierungschefs der EU könnten erst Entscheidungen treffen, wenn die drei Institutionen eine abschließende Empfehlung gegeben haben. Versteckt sie sich hinter IWF, EZB und EU-Kommission?
Politisch ist es sicherlich hilfreich, dass man einen Teil der Verantwortung auf technische Details schieben kann. Allerdings hängen diese technischen Details von Annahmen ab, die auch politisch festgelegt wurden. Letztlich ist es also eine politische Entscheidung.
"Wer behauptet, deutsche Steuerzahler kämen für die Löhne, Renten und Pensionen der Griechen auf, lügt", hat Alexis Tsipras vor ein paar Tagen im "Tagesspiegel" geschrieben. Stimmt das?
Ich halte diese Diskussion für überflüssig. Richtig ist, dass von den Hilfsgeldern bei den griechischen Rentnern und Lohnbeziehern nur wenig angekommen ist. Die Hilfsprogramme haben zu einem großen Teil denen geholfen, die Griechenland Geld geliehen hatten. Auf der anderen Seite wären die Anpassungen in Griechenland ohne Hilfspaket noch härter ausgefallen. Es kommt also darauf an, welches Alternativszenario man zu Grunde legt.
Zwischen Griechenland und dem Rest der Eurogruppe beziehungsweise der EU gab es, meist anonym platziert, wechselseitige Vorwürfe, gelogen zu haben – in der Regel ging es dabei um die Inhalte neuer Vorschläge aus Griechenland, mitunter auch darum, ob es überhaupt neue Vorschläge gab. Können Sie beurteilen, welche Seite häufiger die Unwahrheit von sich gegeben hat?
Ich glaube, das kann keiner hundertprozentig nachvollziehen. Dass es zu solchen Vorwürfen gekommen ist, halte ich für unglücklich, weil es sinnvolle Kompromisse erschwert. Aber das politische Kalkül dahinter kann ich nachvollziehen. Beide Seiten wollen ihrer jeweiligen Bevölkerung klarmachen: Wir kämpfen für eure Interessen, auch mit harten Bandagen.
Wie müsste eine Einigung aussehen, mit der beide Seiten leben können?
Die Geldgeber müssen sich, was ihre Forderungen nach einer Fiskalkonsolidierung angeht, zurücknehmen, und die Griechen müssen die eine oder andere zusätzliche Reform anbieten. Gleichzeitig muss das, was an ökonomischen Schäden aus den weiteren Kürzungen entstehen wird, anderweitig aufgefangen werden. Dazu ist wahrscheinlich am ehesten die EU-Kommission in der Lage. Der Deal, der sich im Moment abzeichnet, ist gemessen an den festgefahrenen Verhandlungen vermutlich der richtige. Eine langfristige Lösung für Griechenland und für Europa ist er aber nicht.
Was wäre denn eine langfristige Lösung?
Eine langfristige Lösung für Griechenland müsste drei Dinge beinhalten: Erstens eine weniger restriktive Fiskalpolitik, damit sich die griechische Wirtschaft erholen kann. Zweitens eine realistische Perspektive für den Schuldenabbau. Und drittens Reformen in Griechenland, die diese Regierung überdauern, gerade in der Bürokratie, dem Justizwesen und den staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft. Solche Reformen sind schwer über einen langen Zeitraum durchzuhalten. Vermutlich würde das einen breiten Konsens innerhalb der griechischen Bevölkerung und zwischen den griechischen Parteien erfordern, eine Art griechischen Reformkonvent. Die Europäer könnten mit Angeboten bezüglich weicherer Ziele und eines Schuldenerlasses dazu beitragen, einen solchen Konsens herzustellen. Das wäre sicherlich das Beste für alle Seiten. Aber danach sieht es im Moment leider nicht aus.
Was ist dran an der Behauptung, die von der Koalition immer wieder vorgetragen wird, Griechenland sei bis zum Syriza-Wahlsieg im Januar auf einem "guten Kurs" gewesen?
Das hängt von der Perspektive ab. Gemessen daran, dass Griechenland aus einer wirtschaftlichen Depression kam, war das schwache Wachstum positiv, aber es war bei weitem nicht ausreichend. Die Frage ist zudem, ob dieser Weg langfristig hätte durchgehalten werden können. Die alte griechische Regierung hat genau die Reformen und Anpassungen verweigert, zu denen Syriza jetzt auch nicht bereit ist. Der damalige Ministerpräsident Samaras ist lieber das Himmelfahrtskommando vorgezogener Neuwahlen eingegangen, als eine Rentenreform durchzuziehen. Der Wahlkampf hat überdeckt, dass schon die alte Regierung in einer Sackgasse steckte. In diese Sackgasse sind Griechenland und seine Geldgeber also nicht erst von Syriza manövriert worden. Die Unsicherheit seitdem hat die Situation in Griechenland natürlich nicht einfacher gemacht. Da kommt eben vieles zusammen.
Mit Christian Odendahl sprach Hubertus Volmer