Ihr selbstgerechten Deutschen!
Wenn es um die Krise in der Euro-Zone geht, lautet die herrschende Erzählung in Deutschland wie folgt: Es gibt keine Krise des Euro, denn dieser war ein Erfolg. Wenn einige Staaten im Moment in Schwierigkeiten stecken, dann nur deshalb, weil sie an Wettbewerbsfähigkeit verloren und die Maastricht-Kriterien verletzt haben. Die logische Folge dieser Erzählung: Es gibt nur eine Möglichkeit, um wieder Vertrauen in der Europäischen Währungsunion zu schaffen – die Sünder unter den Mitgliedsstaaten müssen endlich ihre Volkswirtschaften reformieren und ihre Staatsfinanzen in Ordnung bringen. Der Weg zur Erlösung führt dabei über die Wiederentdeckung von Disziplin, Sparsamkeit und harter Arbeit.
Diese Sichtweise ist selbstgerecht und verquer. Und die Botschaft, die dahinter liegt, ist möglicherweise mit einem Überleben der Währungsunion nicht vereinbar.
Die Deutschen haben zwar Recht, wenn sie anmerken, dass die Exzesse vor allem in der Peripherie der Euro-Zone stattgefunden haben. Natürlich brauchen die südeuropäischen Staaten Reformen. Aber die deutsche Erzählung ist allein schon deshalb unlogisch, weil es unmöglich ist, dass jedes Land "innerhalb seiner Verhältnisse lebt". Wenn einige Staaten als Schuldner auftreten, muss es auch Gläubiger geben. Verquer ist die deutsche Sicht, weil die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts bislang kaum Einfluss darauf gehabt hat, ob ein Staat zwischenzeitlich von den Anleihemärkten abgeschnitten war. Zuletzt ist die deutsche Sicht egoistisch, weil über die heimischen Sünden einfach hinweg gegangen wird: Es waren deutsche Banken mit schwacher Kapitalbasis, die den Schuldenstaaten sorglos große Summen geliehen haben.
Die deutsche Obsession nach mehr Regeln und Disziplin hat eine perverse Politik hervorgebracht. Spanien wird beschimpft, weil es seine Haushaltsziele nicht einhalten kann – obwohl dafür eher der schwächere Verlauf der Konjunktur verantwortlich ist als ein fehlender Sparwille. Alle Länder der Währungsunion versuchen im Moment ihre Tugend zu beweisen, indem sie ihre öffentlichen Ausgaben kappen. Die Folge ist eine brutale kontraktive Politik in der gesamten Region. Auch der jüngste Vorstoß der Europäischen Zentralbank, den Bankensektor europaweit zu stützen, stieß in Deutschland auf scharfe Kritik. Dabei wäre das eine notwendige Strategie, um einen Kollaps der Euro-Zone zu verhindern.
Die Deutschen erwecken den Anschein, dass es ausreiche, Regeln um jeden Preis einzuhalten. Aber Regeln, egal wie strikt oder flexibel sie eingeführt werden, werden das Vertrauen in die Euro-Zone nicht zurückbringen. So richtig es auch ist, dass die strauchelnden Mitgliedsstaaten Strukturreformen und Haushaltsdisziplin brauchen: Die Euro-Zone wird das nicht stabiler machen – selbst wenn die deutschen Eliten noch so sehr davon überzeugt sind.
Es wird Zeit, den springenden Punkt zu erkennen. Wenn mehrere Mitgliedsstaaten mit eigenständiger Fiskalpoltiik eine Währung teilen, kann es zu gefährlichen Rückkopplungen zwischen Banken und Staaten kommen. Das Erbe der Finanzkrise des Jahres 2008 waren eine Schuldenkrise der Staaten in Teilen der Euro-Zone und eine Bankenkrise in der Region als Ganzes. Beide Krisen haben sich seither stetig genährt: Schwache Staaten haben das Vertrauen in die Banken untergraben – und umgekehrt.
Wie lässt sich dieser Teufelskreis stoppen? Eine Antwort lautet: Die Schulden müssen vergemeinschaftet werden. Die Zinsen für Staatspapiere der krisengeschüttelten Länder sind unerträglich hoch, für deutsche Papiere sind sie unnormal niedrig, weil die Anleger risikoscheu sind wie schon lange nicht mehr. Eine Vergemeinschaftung der Schulden würde diese Schere bei den Finanzierungskosten schließen. Eine andere Möglichkeit wäre ein europäischer Schutzmechanismus für alle Bankeinlagen. Das würde die Banken stabilisieren, die ihren Sitz in Krisenstaaten haben – und es würde sie weniger verwundbar im Falle eines Sturms auf die Bankkonten machen.
Die deutsche Regierung wehrt sich jedoch mit aller Macht gegen solche institutionellen Reformen. Dafür bekommt sie die Rückendeckung des deutschen akademischen Establishments und der Medien. Die deutsche Sicht beschert der Euro-Zone bestenfalls eine immer wiederkehrende Vertrauenskrise und Staatspleiten. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Zusammenbruch der Währungsunion, mit unkontrollierbaren und möglicherweise katastrophalen Folgen.